Der 4. Senat des Bundesgerichtshofs (BGH) hatte sich in einer aktuellen Entscheidung mit der Frage zu befassen, wie konkret Ausschlussklauseln in Versicherungsverträgen formuliert sein müssen. Die vage Ausschlussklausel einer Auslandskrankenversicherung „bei einem bereits vorher bekannten medizinischen Zustand“ verstößt nach Ansicht des BGH gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) und ist daher unwirksam.
Nach dem Transparenzgebot ist der Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen verpflichtet, die Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzulegen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass die Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Bei einer den Versicherungsschutz einschränkenden Ausschlussklausel müssen dem Versicherten die damit verbundenen Nachteile und Belastungen, soweit dies nach den Umständen möglich ist, so verdeutlicht werden, dass er den danach noch bestehenden Umfang der Versicherung erkennen kann (BGH, Urteil vom 8.5.2013 – IV ZR 174/12, r+s 2013, 334 Rn. 8 m.w.N.).
Maßgeblich sind die Verständnismöglichkeiten des bei Verträgen der geregelten Art typischerweise zu erwartenden Durchschnittskunden. Liegt ein Gruppenversicherungsvertrag vor, kommt es zusätzlich auch auf die Verständnismöglichkeiten durchschnittlicher Versicherter und ihre Interessen an (vgl. BGH, Urteil vom 10.12.2014 – IV ZR 289/13, VersR 2015, 318 Rn. 22 m.w.N.)
BGH-Urteil vom 10.7.2024 – IV ZR 129/23
In seiner jüngsten Entscheidung vertritt der BGH die Auffassung, dass der durchschnittliche Versicherte aus der vagen Formulierung „bei einem bereits vorher bekannten medizinischen Zustand“ nicht hinreichend klar entnehmen könne, wann die Leistungspflicht der Versicherung ausgeschlossen sein soll. Zum einen bleibe bereits unklar, welche Erkrankungen konkret zu einem Leistungsausschluss führen sollen. Die Klausel nannte lediglich eine Reihe nicht abschließender Beispiele, wie zum Beispiel einen Krankenhausaufenthalt in den letzten zwölf Monaten oder die Diagnose „unheilbar“ oder „chronisch“. Diese Beispiele ließen aber keine einheitlichen Kriterien wie etwa Dauer oder Schwere der Krankheit erkennen. Für den Versicherten sei daher nicht nachvollziehbar, welche Zustände vergleichbar seien und damit zu einem Leistungsausschluss führen könnten.
Darüber hinaus ist nach Ansicht des BGH unklar, in welchem Umfang der Versicherungsschutz ausgeschlossen sein soll. Der Versicherte könne aus dem Wortlaut der Regelung zum Beispiel nicht erkennen, ob die Leistung für eine Behandlung wegen der jeweiligen Vorerkrankung ausgeschlossen ist oder auch für eine während der Reise auftretende Krankheit, die erst durch die Vorerkrankung verursacht wurde.
Bedeutung der Entscheidung für die D&O-Versicherung
Die neue Entscheidung des 4. Senats des BGH könnte auch für D&O-Versicherungen von besonderem Interesse sein. Einige D&O-Versicherungsbedingungen schließen ebenfalls bekannte Sachverhalte (hier: Pflichtverletzungen) aus:
„Der Versicherungsschutz erstreckt sich nicht auf versicherte Ereignisse wegen vor Vertragsbeginn begangener Pflichtverletzungen, sofern die jeweils betroffene versicherte Person von der Pflichtverletzung bis zum Abschluss dieses Vertrages Kenntnis hatte.“
Auch diese Klausel weist unklare Aspekte im Sinne von § 307 Abs. 1 BGB auf. Anders als in der streitgegenständlichen Klausel im obigen Beispielsfall wollen die D&O-Versicherer jedoch bekannte Pflichtverletzungen rigoros ausschließen. Die Formulierung ist allerdings so weit gefasst, dass kein durchschnittlicher Versicherungsnehmer erkennen kann, welche Sachverhalte erfasst sein sollen und welche nicht. Hier muss wohl die erste, explizite Rechtsprechung zur D&O-Versicherung abgewartet werden, um Klarheit zu erhalten.
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Autor:
Rechtsanwalt Dr. Stefan Steinkühler
Rechtsanwalt Dr. Stefan Steinkühler steht der VSMA GmbH seit Mitte des Jahres 2020 als juristischer Berater bei haftungs- und versicherungsrechtlichen Themen zur Seite. Er verfügt über langjährige Erfahrungen in der Versicherungswirtschaft. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen neben der Bearbeitung von Sach-/BU- und Produkthaftungsschäden vor allem Fälle im Bereich der D&O- und VSV-Versicherung sowie der dazugehörigen Managerhaftung.