Der Wissensdurst der Versicherer ist groß. Nicht nur bei der vertraglichen Übernahme von Risiken, sondern auch bei der Schadenregulierung. Da ruft zum Beispiel der eine D&O-Versicherer als Exzedent gerne den Schadensachbearbeiter des Grundversicherers an und bittet um eine Sachstandsmitteilung. Oder der Versicherer einer persönlichen D&O-Versicherung tauscht sich mit dem Firmen-D&O-Versicherer aus. Ist ein solcher Austausch ohne Beteiligung oder Einwilligung der versicherten Person oder ihrer Interessenvertreter überhaupt zulässig?

Die folgenden Ausführungen erheben keinen Anspruch auf wissenschaftliche Vollständigkeit, sondern sollen einen Denkanstoß geben.

1. Abgrenzung Mehrfachversicherung und Mitversicherung
Zunächst ist die hier relevante Mehrfachversicherung im Sinne von § 78 VVG von der Mitversicherung abzugrenzen. Wird ein Interesse von mehreren Versicherern durch ihr Zusammenwirken versichert, handelt es sich um eine Mitversicherung. Im Regelfall besteht dann zwischen den Konsorten eine vertragliche Vereinbarung (zum Beispiel eine Führungsklausel). Bei der Mehrfachversicherung hingegen (früher auch Doppelversicherung genannt) existiert nur eine faktische Verbindung, dass eben ein Interesse gegen dieselbe Gefahr bei mehreren Versicherern versichert ist.

2. Rechtliche Bedenken bezüglich des Austauschs der D&O-Versicherer
Da bei der Mehrfachversicherung nur eine faktische Verbindung zwischen den D&O-Versicherern besteht, stellt sich die Frage, ob der Austausch der Versicherer untereinander kartellrechtlich zulässig und datenschutzrechtlich unproblematisch ist.

a) Versicherungskartellrecht
Nach Art. 101 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ist jede Vereinbarung oder sonstige Verhaltensabstimmung – auch konkludent (zum Beispiel durch einen Informationsaustausch) – zwischen mindestens zwei Unternehmen, die geeignet ist, den Wettbewerb zu beschränken, verboten. Bei der diesbezüglichen Beurteilung eines Austauschs zwischen zwei Versicherern im Schadenfall konnte man in der Vergangenheit immer auf eine Freistellungsmöglichkeit nach der Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) hoffen. Diese erlaubte unter anderem bestimmte Kooperationen in Bezug auf die Abwicklung von Schadensfällen. Auch wenn die GVO mittlerweile aufgehoben wurde, ist anerkannt, dass die ihr zugrunde liegenden Gedanken nicht obsolet geworden sind. Ob allerdings die Mehrfachversicherung darunter gefallen wäre, darf bezweifelt werden. Der Gesetzgeber ging stets von einer Mitversicherungs- oder Mit-Rückversicherungsgemeinschaft aus, also von einem bewussten Eingehen einer Risikogemeinschaft. Die Mehrfachversicherung unterscheidet sich aber gerade in diesem Punkt, da hier eine Gesamtschuldnerschaft kraft Gesetzes entsteht – und keine bewusst eingegangene Risikogemeinschaft.

Ein Austausch zwischen zwei Versicherern im Schadenfall könnte daher durchaus gegen Art. 101 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verstoßen, wie die folgenden Erwägungen zeigen:

Bei einer Mehrfachversicherung kann die versicherte Person grundsätzlich jeden Versicherer in Anspruch nehmen, soweit nach dessen Vertrag Deckung besteht. Solange die Versicherungssumme des Grundversicherers im Schadenfall nicht ausgeschöpft ist, tritt beim Exzedentenversicherer jedoch kein offizieller Versicherungsfall ein. Erhält der Exzedent nun ohne vertragliche Grundlage Informationen zur Haftungs- und Deckungssituation vom Grundversicherer, erwächst ihm daraus gegebenenfalls ein unzulässiger Wettbewerbsvorteil. Denn er erhält unter Umständen früher Zugang zu Informationen, die er sonst erst später erhalten hätte, oder gar rechtliche Einschätzungen, die er zur Prüfung seiner Leistungspflicht selbst hätte entwickeln müssen. Die gleichen Bedenken bestehen auch im Verhältnis zwischen dem Unternehmens-D&O-Versicherer und dem Versicherer einer persönlichen D&O.

Zwar werden die Versicherer bei einer Mehrfachversicherung im Außenverhältnis bei Eintritt des Versicherungsfalls kraft Gesetzes Gesamtschuldner. Dies rechtfertigt aber im Verhältnis zur versicherten Person nicht, dass sich die Versicherer hinter dessen Rücken austauschen. Der Versicherte kann weiterhin von jedem Versicherer die nach seinem Vertrag geschuldete volle Entschädigung verlangen, insgesamt aber natürlich nicht mehr als den Gesamtbetrag des Schadens. Nur auf der Ebene des Gesamtschuldnerausgleichs und der Abrechnung bereits erbrachter Versichererleistungen steht es den Versicherern frei, sich untereinander im Rahmen des Notwendigen auszutauschen.

In einem konkreten Fall gipfelte der Informationsaustausch sogar darin, dass der eine D&O-Versicherer nicht mehr bereit war, eine eigene Deckungsbestätigung auszustellen. Er vertrat die Auffassung, dass aufgrund der Gesamtschuldnerschaft die Deckungsbestätigung des anderen Versicherers ausreiche. Die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner wirke schließlich auch für die übrigen Schuldner (§ 422 BGB). Dass diese eigenwillige Sichtweise dem Versicherten auch das ihm zustehende Wahlrecht nimmt, ließ der Versicherer bisher nicht gelten.

b) Datenschutz
Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist es wichtig zu verhindern, dass personenbezogene Daten den Verantwortungsbereich des einzelnen Versicherungsunternehmens verlassen. Sowohl bei der persönlichen D&O-Versicherung, bei der die versicherte Person zugleich Versicherungsnehmer ist, als auch bei der Unternehmens-D&O-Versicherung dürfte ein Austausch zwischen den Versicherern, der keine personenbezogenen Daten betrifft, nur schwer vorstellbar sein. Die rechtlichen Bedenken liegen auf der Hand.

3. Fazit
Es bleibt fraglich, ob sich D&O-Versicherer im Falle einer Mehrfachversicherung ohne entsprechende Einwilligung der versicherten Person im Rahmen der Schadenabwicklung einfach untereinander austauschen können. Zwar wird ein abgestimmtes Vorgehen bei der Abwehr von Ansprüchen auch im Interesse der versicherten Person liegen, um die ohnehin schwierige Verteidigung besser zu koordinieren. Der Austausch sollte dann aber nur auf Veranlassung oder zumindest mit Einwilligung der versicherten Person erfolgen, damit diese im „Driver Seat“ sitzt und nicht das fünfte Rad am Wagen ist.

 

Beitragsbild: VideoFlow / Shutterstock

Autor:
Rechtsanwalt Dr. Stefan Steinkühler 
Rechtsanwalt Dr. Stefan Steinkühler steht der VSMA GmbH seit Mitte des Jahres 2020 als juristischer Berater bei haftungs- und versicherungsrechtlichen Themen zur Seite. Er verfügt über langjährige Erfahrungen in der Versicherungswirtschaft. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen neben der Bearbeitung von Sach-/BU- und Produkthaftungsschäden vor allem Fälle im Bereich der D&O- und VSV-Versicherung sowie der dazugehörigen Managerhaftung.

www.ra-steinkuehler.de

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