Gestörte Lieferketten und inflationäre Materialpreise belasten Unternehmen erheblich. Trägt der Versicherungsschutz?

Gestörte Lieferketten, verlängerte Lieferfristen, Produktionsengpässe gehören zwischenzeitlich ebenso zum betrieblichen Alltag wie der Umgang mit den rasant steigenden Energie- und Rohstoffpreisen. Wer kann, legt sich Engpassmaterialien zusätzlich auf Lager. Viele Unternehmen müssen froh sein, überhaupt etwas zu bekommen. Die Preiselastizität der Nachfrage sinkt entsprechend. Die Erzeugerpreise liegen im Frühjahr um gut 30 Prozent über den Vorjahreswerten. Infolge der aktuellen Lockdowns in China ist eher mit einer Verschärfung der Situation zu rechnen. Neben den Auswirkungen des Krieges sind auch die Folgen der Coronaentwicklung in China die bestimmenden Faktoren der Konjunktur in Deutschland.

Diese globalen Entwicklungen verteuern nicht nur die Sachschäden. Sie führen auch zu einem Anstieg der Schadenssummen bei den Betriebsunterbrechungen. Höhere Materialkosten sowie längere oder sogar nicht kalkulierbare Lieferzeiten mit den damit verbundenen Wartezeiten treiben die Kosten.

Unterversicherung durch Inflation
Auch wenn die aktuelle Preisentwicklung hierzulande ursächlich auf Kaufkraftverschiebungen zulasten Deutschlands (und Europas) zurückzuführen sind, entsprechen die Auswirkungen der einer „normalen“ Inflation. In vielen Fällen droht eine Unterversicherung. Wenn die Versicherungssummen bislang durch die entsprechenden Wertzuschläge regelmäßig up to date waren, so besteht aktuell die Notwendigkeit, über die Wertzuschläge hinaus aktiv zu werden, um eine Unterversicherung zu vermeiden. Die derzeit vereinbarten Versicherungssummen dürften in den meisten Fällen nicht mehr ausreichen, um die tatsächlichen Werte abzudecken.

Ohne entsprechende zusätzliche Anpassung ist deshalb zu erwarten, dass die vom regulierenden Versicherer zu leistenden Entschädigungszahlungen unter den eigentlichen (inflationierten) Werten liegen. Hinzu kommt, dass durch die Produktions- und Lieferengpässe bzw. den daraus resultierenden Lieferverzögerungen der Wiederaufbau oder die Wiederherstellung in der Regel viel länger dauern dürfte, als via vereinbarter Haftzeit der Betriebsunterbrechungsversicherung versichert ist. Es entsteht eine weitere Unterversicherung beziehungsweise finanzielle Lücke. Wir empfehlen deshalb, die Haftzeiten den aktuellen, schlechteren Gegebenheiten anzupassen. Dies gilt umso mehr, als leider nicht damit zu rechnen ist, dass sich die Gesamtsituation kurzfristig wieder verbessern wird.

Zur Vermeidung dieser Folgen ist es deshalb unbedingt ratsam, die bestehenden Versicherungen in Unternehmen detailliert zu prüfen und die Versicherungssummen beziehungsweise die relevanten Zeiträume und Fristen zu erhöhen. Dies gilt insbesondere für die Versicherungssparten Sach- und Sach-Betriebsunterbrechungs-Versicherung oder entsprechende Multiline Versicherungen sowie für die Transport- und Montageversicherung.

Die weltweiten Lieferkettenunterbrechungen der vergangenen 30 Jahre wurden bislang insbesondere durch folgende Katastrophen-Ereignisse ausgelöst: 11. September 2001, der Tsunami im indischen Ozean am 26. Dezember 2004, der Vulkanausbruch des Eyjafjallajökull im Frühjahr 2010, das Tohuku-Erdbeben mit Tsunami am 13.6.2011 sowie die Nuklearkatastrophe in Fukushima. Die jetzige Situation ist völlig anders, die Folgen sind allerdings gleichermaßen katastrophal und – so wie es aktuell aussieht – wohl auch erheblich länger wirksam.

Vom Einkauf und durch die Produktion
Die hohe Nachfrage und ein begrenztes Angebot haben das Einkaufsverhalten verändert. Materialeinkauf findet nicht mehr nur nach der Vorgabe „auftragsbezogen“ statt. Es führt zu einer Änderung der Strategie über die Lagerkapazität – Lagermengen und vorhandene Lagerflächen. In den Jahren vor der Jahrtausendwende traten diese Auswirkungen (Lieferverzögerungen/volatile Preisbewegungen) nicht in dem Maße auf den globalen Märkten auf und waren weitestgehend beherrschbar.

Seit einigen Monaten erleben wir den totalen Wandel. Auf die Lieferengpässe im Bereich der elektronischen Bauteile, insbesondere von Sensoren oder Speicherchips für die Automobilindustrie, folgten Beeinträchtigungen durch Kapazitätsengpässe bei der Herstellung, bei der ausreichenden Versorgung durch Grund- sowie durch Rohstoffe et cetera. Der übliche Materialfluss und Fertigungsablauf im Unternehmen wird zeitaufwändiger und auch der Wert an halbfertigen (Engpass-) Produkten steigt zusätzlich, nicht nur durch die Preiserhöhungen.

Nach dem Kauf verbleiben Produkte häufiger bei Zulieferern oder Lieferanten und werden dort auf Kosten und gegebenenfalls auf Risiko des Käufers zwischengelagert. Aufgrund nicht ausreichender Lagerkapazitäten werden Speditionsläger oder temporär angemietete Lagerflächen als weitere Zwischenläger genutzt. Zusätzliches Lagervolumen führt zu einem höheren Gesamtvolumen und -wert. Eine Überprüfung der Vereinbarungen (im Rahmen bestehender Versicherungen) muss vorgenommen werden. Gegebenenfalls werden Erhöhungen unter Berücksichtigung des aktuellen Standes erforderlich.

Vor dem Hintergrund der politischen Entwicklungen ist zu prüfen, ob Lagerorte in Ländern, für die Sanktions- oder Embargobeschränkungen erlassen wurden, bestehen.

Während der Produktion treten Verzögerungen auf. Teile, die zur Fertigstellung benötigt werden, können nicht rechtzeitig angeliefert werden. Zugesagte Liefertermine verschieben sich. Bei angefangenen beziehungsweise in Bearbeitung befindlichen Produkten kommt es ebenfalls zu einer Erhöhung des Volumens und damit des Wertes. Müssen diese Sachen beziehungsweise Teile extern zwischengelagert werden, weil die verfügbare Fläche nicht ausreicht, sind ebenfalls Anpassungen vorzunehmen.

Unterbrechung der Lieferkette – Rückwirkungsschäden
Die vorgeschilderten Abläufe können auch bei einem Zulieferer oder auf der Strecke der Unternehmen, die Teile oder Leistungen, die zur Fertigstellung einer Sache oder einer Anlage benötigt werden, eintreten. Katastrophal wäre, wenn es zusätzlich zu den bekannten Herausforderungen auch zu einem versicherten Sachschaden bei einem Zulieferbetrieb kommt. Es träten zusätzliche Verzögerungen auf. Die Auswirkungen (Rückwirkungen) auf den Fertigungsablauf sind möglicherweise immens. Ein reibungsloser Betriebsablauf ist nicht möglich und es kommt zu einem indirekten Unterbrechungsschaden/schleichenden Unterbrechungsschaden. Üblicherweise spricht man in einem solchen Fall von Rückwirkungsschaden. Der ersatzpflichtige Sachschaden tritt bei einem separat versicherten Unternehmen ein und löst einen Unterbrechungsschaden (Rückwirkung) im eigenen Unternehmen aus.

Transport und Transportlogistik/-kosten
Die Verknappung von Transportkapazitäten, von Verpackungen, Containern und Transportlagerkapazitäten, insbesondere im Zusammenhang mit Schiffstransporten oder in Häfen, war in der Entwicklung so nicht erwartet worden. Schiffe können nicht in Häfen einfahren. Die höhere Verweildauer und die nicht ausreichende Kapazität verursachen Verzögerungen beim Be- und Entladen von Schiffen. Pandemiebedingte Schließungen von Hafenbereichen bis hin zu Schließungen eines kompletten Hafens, wie wir es aktuell erleben, haben ein Übriges dazu beigetragen. Die Bilder von ankernden Schiffen, die auf die Einfahrt in den Hafen und auf Entladung warten, sind um die Welt gegangen und können sich jederzeit wiederholen.

Die Transportdauer erhöht sich wesentlich und führt zu ungeplanten Folgen. Nach dem Eintreffen der Sache/Anlage beim Besteller oder auf der Baustelle wird festgestellt, dass die Verpackung den längeren und höheren Transportstrapazen nicht standgehalten hat. Die ursprüngliche Planung sah eine wesentlich kürzere Zeitspanne vor. Dementsprechend sind Verpackungen zu optimieren.

Nur ein optimaler Versicherungsumfang im Rahmen einer bestehenden Transportversicherung sorgt für den Fall vor, dass der Auftragnehmer sprichwörtlich nicht im Regen stehen bleibt.

Verzögerungen, die durch die derzeit herrschenden Situationen in und vor den Häfen weltweit und auf hoher See eintreten, lösen möglicherweise an anderer Stelle weitere, höhere beziehungsweise längere Zwischenlagerungen aus, die auch risikotechnisch und versicherungsrelevant umzusetzen sind. Hier gilt es die Maxima der Transportversicherungen zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.

Montage und Inbetriebnahme
Nicht nur durch die vorgeschilderten Ursachen kommt es zu Verzögerungen bei der Montage- oder der Inbetriebnahme. Tätigkeiten können nicht zeitnah beginnen, müssen aufgrund von Verzögerungen unterbrochen werden, der Beginn der Probearbeiten sowie der Übergabetermin verschieben sich. Der Gesamtzeitraum vom Beginn der Montagetätigkeit bis zur endgültigen Übergabe nimmt erheblich zu.

Die Sachen treffen auf der Baustelle ein und werden gelagert. Möglicherweise über mehrere Wochen in einer Region mit hohen Temperaturen und/oder hoher Luftfeuchtigkeit. Beim Auspacken zum Beginn der Montagetätigkeiten werden Schäden an den Produkten festgestellt, die auf dem Transportweg oder während der Lagerung eingetreten sein können.

Der Auftragnehmer wird mit Forderungen zur Reparatur oder zur Ersatzlieferung konfrontiert, die bei einem normalen Ablauf nicht eingetreten wären.

Versicherungsumfang prüfen und neu festlegen – Zusammenfassung
Nicht alle Folgen von Lieferkettenunterbrechungen lassen sich versichern. Nur eine ausreichende Risikobewertung versetzt ein Unternehmen in die Lage, sich einen Überblick zu verschaffen, auch über die wesentlichen Zulieferer und deren Zulieferer! Ebenso über die möglichen und versicherbaren Risiken. Bestehende Versicherungen sollten regelmäßig auf ihre Aktualität hin überprüft werden.

Aufgrund der aktuellen Sondersituation und besonderen Veränderungen empfehlen wir:

  • Prüfung der vereinbarten Versicherungssumme(n)
  • Prüfung der Höchstentschädigungen – im Rahmen der Sachversicherung oder im Rahmen einer Feuer-, einer sonstigen Elementar- oder einer Allgefahren-Versicherung
  • Prüfen der Haftzeit einer Betriebsunterbrechungs-Versicherung (abhängig von der Fertigungstiefe und der vorhandenen technischen Bereiche – kann sich sogar eine Haftzeit von 24 Monaten als nicht ausreichend herausstellen)
  • Prüfen der Versicherungssummen und Höchstentschädigungen/Limite zur Betriebsunterbrechungsversicherung
  • Prüfen der Versicherungssummen und Höchstentschädigungen/Limite zur Transportversicherung
  • Prüfen der Versicherungssummen und Höchstentschädigungen/Limite zur Montageversicherung

Selbstverständlich finden auch an anderer Stelle Verteuerungen oder Verzögerungen statt – insofern können diese Ausführungen nur als beispielhaft gelten. Wichtig ist, dass man sich vorab um die Sicherstellung der eigenen relevanten Lieferketten kümmert und mögliche Unterbrechungsfolgen adäquat absichert. Der GVNW steht gerne für weitere Ausführungen oder Erläuterungen zur Verfügung. Der GVNW beantwortet auch gerne Fragen.

Der Artikel ist in der Fachzeitschrift des Gesamtverbandes der versicherungsnehmenden Wirtschaft e.V. (GVNW) „Die VersicherungsPraxis“ erschienen (Juni 2022, Jahrgang 112).

 

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