Die Schadenersatzpflicht des Versicherers für eine falsche Empfehlung gegenüber dem Versicherungsnehmer ist weitestgehend abschließend in § 6 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) geregelt. Daneben können aber auch Ansprüche des Versicherungsnehmers aus §§ 241, 311 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB bestehen. Dabei gilt der Grundsatz, dass der Versicherer im Haftpflichtprozess grundsätzlich „die Interessen des Versicherten so zu wahren hat, wie das ein von diesem beauftragter Anwalt tun würde“.
Fallgruppen
Folgende Fallgruppen sind insbesondere zu nennen:
- Nach § 6 Abs. 6 VVG trifft den Versicherer zwar grundsätzlich keine Beratungspflicht im Sinne der Absätze 1 bis 5 des § 6 VVG, wenn der Vertrag mit dem Versicherungsnehmer von einem Versicherungsmakler vermittelt wird. Dies gilt aber nicht hinsichtlich einer Aufklärungspflicht nach § 242 BGB, wenn der Versicherer zum Beispiel erkennt, dass sich der Versicherungsnehmer trotz der Beratung durch einen Versicherungsmakler über den Vertragsinhalt im Irrtum befindet.
- Auch kann zum Beispiel der (Rechtsschutz-)Versicherer aus positiver Vertragsverletzung für den Schaden haftbar gemacht werden, den der Versicherungsnehmer dadurch erleidet, dass er infolge einer vertragswidrigen Verweigerung der Deckungszusage einen beabsichtigten Rechtsstreit nicht führen kann.
- Mitunter macht der Versicherer im Schadenfall auch von seinem in § 82 VVG normierten Weisungsrecht gegenüber dem Versicherungsnehmer Gebrauch und verlangt von ihm ein bestimmtes Verhalten. Unberechtigte oder unzweckmäßige Weisungen können den Versicherer bei schuldhaftem Verhalten zum Schadenersatz verpflichten (Voit, in Prölss/Martin, VVG; § 82 Rz. 22).
- Darüber hinaus kommt es immer wieder zu Schadenersatzansprüchen im Zusammenhang mit einer fehlerhaften Prozessführung durch den Versicherer (dazu mehr im nächsten Absatz).
Mangelhafte, interessenwidrige Prozessführung zulasten des Versicherungsnehmers
Nicht selten enden insbesondere Haftpflichtfälle vor Gericht und mit einem Vergleich. Wenn die Parteien einen Vergleich schließen wollen, müssen beziehungsweise sollten sie den Haftpflichtversicherer „mit ins Boot holen“, damit eine für alle Beteiligten abschließende Lösung auch (finanziell) umsetzbar ist. Schließlich hat auch der Versicherer ein Leistungsversprechen abgegeben und im Schadenfall eine entsprechende Leistungsverpflichtung.
Der Haftpflichtversicherer ist vertraglich dazu verpflichtet, den Versicherungsnehmer von gegen diesen erhobenen Haftpflichtansprüchen Dritter und deren Folgen – in welcher Weise auch immer – freizustellen. Zur Erfüllung dieser Verpflichtung wird ihm in den einschlägigen Versicherungsbedingungen oft eine umfassende Dispositionsfreiheit eingeräumt (zum Beispiel nach Ziffer 5.2 AHB). Bestreitet der Versicherer den Haftpflichtanspruch und kommt es hierüber zum Prozess, so hat der Versicherungsnehmer grundsätzlich dem Versicherer die Prozessführung zu überlassen und dem von ihm beauftragten Anwalt Vollmacht zu erteilen. Da der Haftpflichtversicherer – anders als der Rechtsschutzversicherer – nicht nur das Kostenrisiko, sondern auch das Sachrisiko trägt, wird in dieser Prozessführungsbefugnis auch kein Verstoß gegen die freie Anwaltswahl gesehen. Im Gegenzug muss der Versicherer dem Versicherungsnehmer aber rechtzeitig und unmissverständlich erklären, ob er den bedingungsgemäß geschuldeten Rechtsschutz gewährt (vgl. BGH Urt. v. 7.2.2007 – IV ZR 149/03, Ls. 2).
Andererseits finden sich insbesondere in D&O-Versicherungsbedingungen häufig Regelungen, die den versicherten Personen – teilweise vorbehaltlich eines Widerspruchsrechts des Versicherers – die Wahl des Anwalts und die Prozessführung überlassen. Entsprechend wird dann auch geregelt, dass Vergleiche, die von den versicherten Personen ohne Zustimmung des Versicherers geschlossen werden, den Versicherer nur insoweit binden, wie der Haftpflichtanspruch auch ohne Anerkenntnis oder Vergleich bestanden hätte. Diese Frage ist dann im Rahmen des Deckungsanspruchs zu prüfen. Auch ohne seine Zustimmung ist der Versicherer jedoch an Vergleiche gebunden, wenn er seine Deckungsverpflichtung nicht erfüllt und der Versicherte nicht leichtfertig oder arglistig gehandelt hat.
Macht der Versicherer aber von seiner Prozessführungsbefugnis Gebrauch, wenn auch unter dem Vorbehalt der Deckungsablehnung je nach Ausgang des Haftpflichtprozesses, so hat er nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urt. v. 30.09.1992, IV ZR 314/91, BGHZ 119,276, 281) die Interessen des Versicherten im Haftpflichtprozess so zu wahren, wie dies ein von diesem beauftragter Rechtsanwalt tun würde. Dies gilt wegen des umfassenden Rechtsschutzversprechens sogar dann, wenn eine Kollision zwischen den Interessen des Versicherten und denen des Versicherers – etwa wegen eines Risikoausschlusses oder einer Obliegenheitsverletzung – nicht zu vermeiden ist. Der Versicherer hat dann seine eigenen Interessen zurückzustellen.
Überschreitet der Versicherer im Verhältnis zum Versicherungsnehmer seine Geschäftsführungsbefugnis (nach BGH eine Geschäftsführungsbefugnis eigener Art), so ist er gemäß § 280 Abs. 1 BGB zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn der Versicherer versicherte Personen in erheblicher Höhe verpflichtet, für die kein oder nur teilweiser Versicherungsschutz besteht.
In einem Fall (BGH, Urt. v. 18.07.2001 – IV ZR 24/00) hatte der Versicherer beim Abschluss eines Vergleichs gegen die Pflicht zur Wahrung der Interessen des Versicherten verstoßen. Der Versicherer hatte nicht die Interessen seines Versicherungsnehmers, sondern einseitig seine eigenen Interessen wahrgenommen. Nach Ansicht des BGH hätte ein vom Versicherungsnehmer beauftragter Rechtsanwalt diesem jedenfalls raten müssen, den in Rede stehenden Prozessvergleich nicht zu widerrufen, und zwar gerade deshalb, weil die Frage der Leistungsfreiheit des Versicherers im Raum stand. Nach damaliger übereinstimmender Auffassung der Prozessparteien war der Vergleich günstig, weil damit zu rechnen war, dass im Falle eines Urteils eine höhere Schadensersatzleistung zugesprochen werden würde.
Fazit
Eine Schadensersatzpflicht des Versicherers kann sich nicht nur aus den spezialgesetzlichen Regelungen des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG), sondern auch aus den allgemeinen schuldrechtlichen Grundsätzen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ergeben. Dies ist insbesondere in den Fällen relevant, in denen der Versicherer besondere Aufklärungspflichten verletzt, eine Deckungszusage zu Unrecht ablehnt oder die Interessen des Versicherungsnehmers im Rahmen der Prozessführung nicht ausreichend wahrt.
Gerade im Haftpflichtbereich trägt der Versicherer eine besondere Verantwortung: Er muss die Interessen des Versicherungsnehmers in einem Rechtsstreit so vertreten, als wäre er dessen eigener Anwalt. Ist die Prozessführung fehlerhaft oder stellt der Versicherer seine eigenen Interessen über die des Versicherungsnehmers, kann dies eine Schadenersatzpflicht auslösen.
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Autor:
Rechtsanwalt Dr. Stefan Steinkühler
Rechtsanwalt Dr. Stefan Steinkühler steht der VSMA GmbH seit Mitte des Jahres 2020 als juristischer Berater bei haftungs- und versicherungsrechtlichen Themen zur Seite. Er verfügt über langjährige Erfahrungen in der Versicherungswirtschaft. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen neben der Bearbeitung von Sach-/BU- und Produkthaftungsschäden vor allem Fälle im Bereich der D&O- und VSV-Versicherung sowie der dazugehörigen Managerhaftung.