Ausbilden statt abwerben!

In der Industrieversicherung ist der Bedarf an Fachkräften so groß wie nie zuvor. Das gezielte und kostenintensive Abwerben von Mitarbeitenden bei der Konkurrenz ist daher mittlerweile Standard und angesichts des akuten Fachkräftemangels sogar verständlich. Weniger nachvollziehbar ist allerdings, dass in die Erhöhung der Ausbildungsquote offensichtlich nicht genug investiert wird. Im Jahr 2022 wurden über 20 Prozent weniger Nachwuchskräfte ausgebildet als 2012. Wir sollten unsere Prioritäten überdenken.

Der Fachkräftemangel droht in der Versicherungsbranche bald dramatische Ausmaße anzunehmen. Durch die Verrentung der Babyboomer-Generation scheiden bis 2030 voraussichtlich über 30 Prozent der Mitarbeitenden aus. Das Recruiting ist damit ein zentrales Thema geworden. Die Ausbildung von mehr Nachwuchskräften sollte dabei im Vordergrund stehen, um unseren „Expertenpool“ langfristig zu vergrößern. Stattdessen verstärkt sich auf dem Arbeitsmarkt der Trend, qualifizierte Mitarbeitende abzuwerben.

Die Kehrseite des aktuellen Abwerbungstrends
Das Abwerben von Experten bei der Konkurrenz ist in der Industrieversicherung längst zur gängigen Praxis geworden. Kurzfristig mag dieses Vorgehen akute Lücken schließen, langfristig entsteht ein erheblicher Schaden – für die gesamte Branche. Steigende Rekrutierungskosten und immer höhere Gehaltsforderungen sind zwei unmittelbare Folgen. Zudem sinkt die Mitarbeiterbindung während die Kündigungsrate stetig steigt.

Auf einem Seminar des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) wurde dieser Anstieg der Personalfluktuation kürzlich als besorgniserregend bezeichnet. Ein Problem, das auch die Versicherungswirtschaft betrifft. Statt der lange üblichen Fluktuation von ein bis zwei Prozent sehen wir heute Werte von vier Prozent, mit steigender Tendenz. Die Folge: Immer häufiger geht institutionelles Wissen verloren, mehr Onboarding-Prozesse verringern die Produktivität und verlängern die Bearbeitungszeiten. Darunter leidet letztlich die Kundenzufriedenheit – und das wird sicher niemand gutheißen.

Ausbildung von Nachwuchskräften muss Priorität haben
Um den Generationswechsel erfolgreich zu bewältigen, hätten wir schon vor Jahren mehr ausbilden müssen. Die Zahlen zeigen jedoch, dass diese wichtige Aufgabe vernachlässigt wurde. Im Jahr 2012 lag die Zahl der Auszubildenden in den Versicherungsunternehmen noch bei 13.100, im Jahr 2022 waren es nur noch 10.400. Auch wenn die Zahl 2023 leicht auf 10.600 gestiegen ist, reicht das nicht aus, um den wachsenden Bedarf zu decken.

In diesem Jahr hat die VSMA daher die Zahl der Auszubildenden mehr als verdoppelt. Eine Entscheidung, die das gesamte Team mitträgt. „Wir haben uns bewusst dafür entschieden, die Ausbildung ab sofort zur Priorität zu machen. Nur so können wir dem Fachkräftemangel langfristig erfolgreich begegnen“, fasst Marcus Flier, einer unserer Ausbildungsleiter, die einhellige Meinung innerhalb der VSMA zusammen.

Generation Z will früh eigene Schwerpunkte setzen
Ich weiß, dass wir mit unseren Bewerbern Glück hatten, viele andere konnten nicht alle Ausbildungsplätze besetzen. Die Industrieversicherer haben seit Langem Schwierigkeiten, Nachwuchs zu gewinnen. Vor allem das Fehlen einer spezifischen Ausbildung ist ein Hindernis. Gemeinsam sollten wir uns für einen eigenen Ausbildungsgang starkmachen und die Vorteile der Industrieversicherung für Interessenten besser kommunizieren. Auch ein auf die Generation Z zugeschnittenes Ausbildungsprogramm, das Raum für persönliche Entwicklung und individuelle Interessen lässt, kann Bewerber überzeugen.

Genau mit diesem Ansatz konnten wir in diesem Jahr punkten. Die Rückmeldungen unserer neuen Auszubildenden zeigen, dass sie sich dafür begeistern, von Anfang an Verantwortung zu übernehmen und in spannenden Projekten mit großen Industriekunden zusammenzuarbeiten. Die Möglichkeit, schon während der Ausbildung individuelle Schwerpunkte zu setzen und sich so frühzeitig zu spezialisieren, wurde sogar so sehr geschätzt, dass sie letztlich den Ausschlag für die VSMA gegeben hat.

Ich bin überzeugt, dass viele Industrieversicherer mit einer stärkeren Fokussierung auf das Thema Ausbildung und flexibleren Programmen mehr Bewerber für sich gewinnen könnten. In diesem Sinne lade ich alle Akteure ein, die Ausbildung ab sofort zur Priorität zu machen. Die Zukunft der Industrieversicherung liegt in unseren Händen – nur mit einer gemeinsamen, konsequenten Ausbildungsoffensive können wir dem Fachkräftemangel effektiv und nachhaltig begegnen.

 

 

Bildnachweis: Prostock-studio / Shutterstock

 

 

Kolumnist:

Birger Jeurink

Geschäftsführer VSMA GmbH