Rente mit 68: Ein Mittel gegen den Fachkräftemangel?

In Deutschland fehlen Fachkräfte. Allein im Maschinenbau können derzeit 14.000 Stellen nicht besetzt werden, auch andere Branchen suchen händeringend nach Mitarbeitenden. In Politik und Wirtschaft werden deshalb derzeit wieder Stimmen laut, die eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit fordern. Ist die Rente mit 68 der einzig richtige Weg oder muss nicht auch bei den Arbeitgebern ein Umdenken stattfinden, damit das Weiterarbeiten für Beschäftigte im Rentenalter wieder attraktiver wird?

Wer heute bis zur Regelaltersgrenze arbeitet, ist in Deutschland in der Minderheit. Im Jahr 2021 gingen 57,1 Prozent vorzeitig in den Ruhestand, 2022 waren es 58,1 Prozent. Viele Unternehmen verlieren damit qualifizierte Mitarbeitende, die nur schwer zu ersetzen sind. Ein Problem, das sich massiv verschärfen wird, wenn die Babyboomer in Rente gehen. Experten gehen davon aus, dass künftig jährlich 400.000 Beschäftigte mehr aus dem Erwerbsleben ausscheiden als nachrücken. Beunruhigende Aussichten!

Auswirkungen des Fachkräftemangels
Die Sorge um den Fachkräftemangel ist berechtigt. Laut dem Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) könnten hiesige Unternehmen mit genügend Fachkräften in diesem Jahr 49 Milliarden Euro mehr erwirtschaften. Im Jahr 2027 steigen diese Kosten nach einer Modellrechnung sogar auf satte 74 Milliarden Euro. Um die Fachkräftelücke zu schließen, sind daher nicht nur qualifizierte Zuwanderer erforderlich. Besonders effektiv wäre es nach Ansicht des IW, wenn ältere Beschäftigte länger arbeiten würden.

Das ist richtig und gilt insbesondere für den Maschinen- und Anlagenbau. In unserer Branche erreichen viele Beschäftigte 45 Versicherungsjahre und können damit vor der Regelaltersgrenze abschlagsfrei in den Ruhestand gehen. Das schwächt die Unternehmen und bremst dringend benötigte Innovationen. In einer aktuellen Umfrage unter den Mitgliedsunternehmen des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) nannten rund 81 Prozent auf die Frage nach „Hemmnisfaktoren, die zu Verzögerung, Abbruch oder Verzicht von Innovationsaktivitäten im Maschinenbau führen“, den Fachkräftemangel als wichtigsten Faktor.

Wirtschaft plädiert für Rente mit 68
Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels diskutieren aktuell Politik, Wirtschaft und Verbände erneut über das Thema Rente. Die einen fordern die Abschaffung der Rente mit 63, die anderen empfehlen eine Rente mit 68 und mehr, um die steigende Lebenserwartung auszugleichen. Auch VDMA-Präsident Karl Haeusgen sprach sich im vergangenen Jahr in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen für eine Rente mit 68 aus. „Wir brauchen auch längere Lebensarbeitszeiten. Hier muss man natürlich differenzieren. Wer eine gesundheitlich belastende Arbeit macht, sollte natürlich früher als andere in Rente gehen können“, so Haeusgen.

Aus ökonomischer Sicht ist die Forderung nach der Rente mit 68 völlig berechtigt. Nach Ansicht von Wirtschaftsexperten muss das Renteneintrittsalter angehoben werden, um den demografischen Wandel und die gestiegene Lebenserwartung zu kompensieren. Längere Lebensarbeitszeiten könnten zudem – zumindest teilweise – dazu beitragen, die Fachkräftelücke zu minimieren. Eine politische Entscheidung für die Rente mit 68 ist derzeit jedoch unwahrscheinlich. Um dem Fachkräftemangel jetzt zu begegnen, sollten die Unternehmen daher selbst aktiv werden und das Weiterarbeiten für Beschäftigte im Rentenalter attraktiver machen.

Umdenken der Arbeitgeber erforderlich
Wer seine Mitarbeitenden im Betrieb halten will, muss heute flexibler sein. „Am Ende werden diejenigen Arbeitgeber am erfolgreichsten sein, die Beschäftigten mit einem großen Werkzeugkoffer viele Arbeitszeit-Möglichkeiten anbieten“, so VDMA-Präsident Karl Haeusgen in dem oben zitierten Interview. Damit hat er 100-prozentig recht – und das gilt ganz besonders für Beschäftigte, die eigentlich schon in den Ruhestand treten könnten.

Viele rentenberechtigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer würden gerne länger arbeiten, wenn das Angebot stimmt. Geld ist dabei auch, aber nicht allein entscheidend. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sind für Beschäftigte im Rentenalter vor allem kürzere und flexiblere Arbeitszeiten sowie passende Arbeitsinhalte relevant. Arbeitgeber sollten daher jetzt Konzepte entwickeln, welche Tätigkeitsprofile ihre älteren Beschäftigten in welchen Arbeitszeitmodellen übernehmen können und wollen. So kann nicht nur dem Fachkräftemangel teilweise entgegengewirkt werden – auch das wichtige Know-how der älteren Generation bleibt dem Unternehmen länger erhalten.

 

 

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Kolumnist:

Birger Jeurink

Geschäftsführer VSMA GmbH