Am 13.12.2024 hat die EU-Produktsicherheitsverordnung, auch „General Product Safety Regulation“ (GPSR) genannt, die Allgemeine Produktsicherheitsrichtlinie abgelöst. Mit der Verordnung sind weitreichende Neuerungen im Produktsicherheitsrecht in Kraft getreten. Diese gelten seit Mitte Dezember ohne nationale Umsetzung unmittelbar in allen EU-Mitgliedstaaten. Alle von der Verordnung betroffenen Marktteilnehmer sollten daher jetzt dringend prüfen, ob ihre Prozesse und Produkte die neuen Anforderungen erfüllen.
Anwendungsbereich
Die neue EU-Produktsicherheitsverordnung (GPSR) legt den Rahmen für die Sicherheit von nicht harmonisierten Verbraucherprodukten fest. Sie gilt für Produkte, die in Verkehr gebracht oder auf dem Markt bereitgestellt werden, sofern die Sicherheit der betreffenden Produkte nicht durch andere spezifische Vorschriften des Unionsrechts – zum Beispiel CE-Richtlinien – oder durch andere Vorschriften, die dasselbe Ziel verfolgen, geregelt wird.
Folgende Produktbereiche sind jedoch ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen:
- Human- und Tierarzneimittel
- Lebens- und Futtermittel
- lebende Pflanzen und Tiere, tierische Nebenprodukte und Folgeprodukte
- Antiquitäten
- Pflanzenschutzmittel
- Transportmittel und Luftfahrzeuge
Neben Herstellern, Bevollmächtigten, Importeuren und Händlern betrifft die GPSR nun weitere Wirtschaftsakteure. Neu aufgenommen wurde der Fulfillment-Dienstleister (Art. 4). Dieser wurde bereits im Marktüberwachungsrecht und im Produktsicherheitsgesetz benannt. Allerdings sieht die GPSR (im Gegensatz zu § 6 Abs. 6 ProdSG) keine spezifischen Pflichten für Fulfillment-Dienstleister vor.
Neu in den Anwendungsbereich aufgenommen wurden auch Anbieter von Online-Marktplätzen. Diese haben besondere Pflichten zu erfüllen (Art. 22). Unter anderem müssen Anbieter von Online-Marktplätzen sicherstellen, dass sie über interne Verfahren zur Gewährleistung der Produktsicherheit verfügen, das heißt, dass sie die Anforderungen an die Produktsicherheit erfüllen.
Kriterien für die Bewertung der Produktsicherheit
Gemäß Artikel 6 der GPSR müssen Hersteller für jedes Produkt eine umfassende Risikoanalyse durchführen. Hierzu wurden folgende Kriterien festgelegt:
- Eigenschaften des Produkts: Aussehen, technische Eigenschaften, Zusammensetzung, Verpackung
- Interaktion mit anderen Produkten
- Aufmachung des Produkts: Etikettierung, Alterskennzeichnung und Warnhinweise, sichere Verwendung, Entsorgung
- Erscheinungsbild des Produkts. Das Erscheinungsbild darf den Verbraucher nicht dazu verleitet, das Produkt anders als vom Hersteller vorgesehen zu verwenden (zum Beispiel Form und Farbe des Produkts verleiten Kinder zum Verzehr)
- Sicherheitsmerkmale
- Sofern die Art des Produkts es erfordert: sich entwickelnde, lernende und vorausschauende Funktionen.
Darüber hinaus ist eine technische Dokumentation zu erstellen, die mindestens 10 Jahre nach dem Inverkehrbringen des Produkts aufzubewahren und auf dem neuesten Stand zu halten ist (Artikel 9).
Pflichten für Online-Händler und Versandhändler
Online-Händler müssen bereits beim Einstellen des Produkts auf ihrer Webseite genaue Identifizierungsangaben machen und eine Produktabbildung zur Verfügung stellen. Sicherheits- und Warnhinweise sind dabei deutlich sichtbar zu platzieren. Um die Produktsicherheit zu gewährleisten, ist der Händler zudem verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Produkte sowohl bei der Lagerung als auch beim Transport richtlinienkonform behandelt werden. Erhält er Kenntnis von einem nicht konformen Produkt, darf dieses nicht zum Verkauf angeboten werden und die Marktüberwachungsbehörden sind zu informieren.
Meldepflicht bei Produktunfällen und Rückverfolgbarkeit
Der Hersteller ist verpflichtet, den zuständigen Behörden des Mitgliedstaates, in dem sich der Unfall ereignet hat, einen durch sein Produkt verursachten Unfall unverzüglich über das „Safety Business Gateway“ (vormals RAPEX) zu melden (Artikel 20). Das „Safety Gate“-Meldesystem wurde gegenüber dem Vorgängersystem erweitert und modernisiert, um Gefahren frühzeitig zu erkennen. Importeure und Händler, die Kenntnis von einem Unfall erhalten, der durch ein von ihnen in Verkehr gebrachtes oder auf dem Markt bereitgestelltes Produkt verursacht wurde, müssen den Hersteller unverzüglich informieren.
Darüber hinaus wurde in Artikel 18 ein sogenanntes Rückverfolgbarkeitssystem eingeführt. Für Produkte, die ein potenzielles Risiko für den Verbraucher darstellen, kann die EU-Kommission ein Rückverfolgbarkeitssystem vorschreiben, das alle Beteiligten der Lieferkette einbezieht. Das Rückverfolgbarkeitssystem muss Informationen über die Identität des Produkts und der beteiligten Wirtschaftsakteure enthalten.
Abhilferechte bei Produktrückrufen
Im Falle eines Produktsicherheitsrückrufs ist dem betroffenen Verbraucher eine wirksame, kostenlose und zeitnahe Abhilfe anzubieten (Artikel 37). Unbeschadet anderer Abhilfemaßnahmen muss der betroffene Wirtschaftsakteur dem Verbraucher die Wahl zwischen mindestens zwei der folgenden Abhilfemaßnahmen anbieten:
- Reparatur des zurückgerufenen Produkts
- Ersatz des zurückgerufenen Produkts durch ein sicheres Produkt desselben Typs (von gleichem Wert und gleicher Qualität).
- Angemessene Erstattung des Wertes des zurückgerufenen Produkts, sofern der Erstattungsbetrag mindestens dem gezahlten Preis entspricht.
Umsetzung in deutsches Recht
Inzwischen wurde ein Regierungsentwurf zur Änderung des ProdSG verabschiedet, mit dem die Anpassungen an die GPSR vorgenommen werden sollen. Das ProdSG wird zukünftig insbesondere sprachliche Anforderungen an Kennzeichnungen und Informationen sowie Ordnungswidrigkeiten und Bußgelder bei Verstößen gegen die GPSR regeln.
Empfehlungen und Ausblick
Alle Marktteilnehmer, die von der neuen EU-Produktsicherheitsverordnung betroffen sind, also nun auch Online-Marktplätze und Fulfillment-Dienstleister, sollten ihre internen Prozesse dringend an die neuen Regelungen anpassen. Nach der GPSR sind Verstöße gegen Produktsicherheitsanforderungen als Marktverhaltensverstöße nach § 3a UWG zu bewerten. Dies erhöht das Abmahnrisiko für Online-Händler erheblich.
Auch Unternehmen sollten sich präventiv mit der neuen Verordnung und der damit einhergehenden veränderten Risikolage auseinandersetzen. Gegebenenfalls kann eine Erweiterung der Betriebs- und Produkthaftpflichtversicherung um eine Rückrufdeckung empfehlenswert sein.
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Autor:
Rechtsanwalt Dr. Stefan Steinkühler
Rechtsanwalt Dr. Stefan Steinkühler steht der VSMA GmbH seit Mitte des Jahres 2020 als juristischer Berater bei haftungs- und versicherungsrechtlichen Themen zur Seite. Er verfügt über langjährige Erfahrungen in der Versicherungswirtschaft. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen neben der Bearbeitung von Sach-/BU- und Produkthaftungsschäden vor allem Fälle im Bereich der D&O- und VSV-Versicherung sowie der dazugehörigen Managerhaftung.