In einer von Renditezielen getriebenen Geschäftswelt bildet die Versicherungswirtschaft keine Ausnahme. Hatten sich die Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit (VVaG) einst als solidarische Alternative für den Mittelstand etabliert, zeichnet sich heute eine Verschiebung hin zu primär gewinnorientierten Aktiengesellschaften ab. Steigende Prämien sind damit ebenso zur Normalität geworden wie neue Ausschlüsse und Kapazitätsbegrenzungen. Diese Entwicklung wird von der Industrie zunehmend kritisch hinterfragt. Zu Recht!

Neue Dominanz von Kapitalgesellschaften
Die Wurzeln der Versicherungslandschaft liegen im Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG), der seit jeher als Garant der Solidarität unter den Versicherten fungiert. Der VVaG ist eine Versicherungsform, bei der die Mitglieder gleichzeitig Versicherungsnehmer und Versicherer sind – eine Gemeinschaft, die finanzielle Risiken teilt. Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit sind jedoch in den letzten Jahren immer seltener geworden. Der Wunsch nach Wachstum und das verständliche Streben nach Rendite und Gewinn haben zu einer Marktdominanz der Aktiengesellschaften geführt.

Mit der Zunahme von Kapitalgesellschaften in der Versicherungswirtschaft geht eine Verschiebung von traditionellen Werten und solidarischer Absicherung hin zu einem profitorientierten System einher. Die individuelle Betreuung der Versicherten tritt in den Hintergrund, maßgeschneiderte Versicherungslösungen und das Gemeinschaftsgefühl gehen mit dem Niedergang der VVaG immer mehr verloren. Stattdessen werden die Versicherten zu Zahlern in einem System, das sich stärker am Shareholder Value orientiert.

Steigende Prämien und sinkende Kapazitäten
Diese Entwicklung wirkt sich seit einigen Jahren deutlich auf den Markt aus. Die weltweiten Preise für Industrieversicherungen sind im ersten Quartal 2023 um vier Prozent und im zweiten Quartal um drei Prozent gestiegen. Das mag moderat klingen, wäre da nicht der lange Zeitraum kontinuierlicher Prämienerhöhungen. Das zweite Quartal des vergangenen Jahres war insgesamt das 23. in Folge, in dem die Preise gestiegen sind – bei gleichzeitig sinkenden Kapazitäten. Auch Änderungskündigungen und zusätzliche Compliance-Anforderungen gehören mittlerweile in vielen Sparten schon fast zur Tagesordnung. Im Ergebnis erhalten die Unternehmen immer weniger Versicherungsschutz zu deutlich höheren Preisen – und das in wirtschaftlich ohnehin schwierigen Zeiten.

Viele Großunternehmen denken daher inzwischen laut über eine Captive nach, einen firmeneigenen Versicherer, der die Risiken des gesamten Unternehmens abdeckt. Auch wenn Captive-Lösungen für den Mittelstand nicht zielführend sind, zeigen die Impulse in diese Richtung doch deutlich, dass die Unternehmen nicht mehr bereit sind, die kontinuierlichen Prämiensteigerungen, die sich in hervorragenden Geschäftsergebnissen der Versicherer niederschlagen, ungefragt hinzunehmen.

Kolumne: Industrieversicherung in Krisenzeiten: Mehr Kundenorientierung bitte!

„Der globale Krisenmodus ist zum Dauerzustand geworden. Gestörte Lieferketten und Produktionsengpässe gehören für viele Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus ebenso zum Alltag wie der Umgang mit steigenden Energie-, Material- und Rohstoffpreisen. Das verändert den Versicherungsbedarf erheblich. Doch statt mutiger neuer Lösungen bieten viele Industrieversicherer nur weitere Ausschlüsse und Prämienerhöhungen. Ein Umdenken der Versicherer ist dringend erforderlich, um den Wirtschaftsstandort Deutschland attraktiv zu halten“, meint Birger Jeurink, Geschaftsführer der VSMA GmbH.

Die vollständige Kolumne finden Sie hier: www.vsma.de/kolumne1

PFAS-Ausschluss und Cyber-/Blackout-Klauseln
Besorgniserregend ist zudem die zunehmende Zahl von Ausschlüssen, die den Versicherungsschutz einschränken. Erst im vergangenen Jahr forderten einige Versicherer, Haftpflichtansprüche wegen PFAS-bedingter Schäden gänzlich auszuschließen. Aufgrund der weitreichenden Folgen eines solchen Ausschlusses für die VDMA-Mitgliedsunternehmen wollte die VSMA dieser Forderung nicht nachkommen – und intervenierte. Auf Initiative von VDMA und VSMA wurde das Thema auf der Fachtagung des Gesamtverbandes der versicherungsnehmenden Wirtschaft (GVNW) und in Pressemitteilungen nachdrücklich in den Fokus gerückt. Mehr dazu im Kasten unten.

Auch in der Transportversicherung haben die Ausschlüsse in den letzten Jahren zugenommen. Die zunehmende Digitalisierung erhöht die Störanfälligkeit der globalen Lieferketten. Seit 2021 nehmen daher immer mehr Versicherer Cyber- und Blackout-Klauseln in ihre Versicherungsbedingungen auf, um Kumulschäden auszuschließen. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hat sich ebenfalls für die Nutzung dieser neuen Ausschlussklauseln ausgesprochen. Die Cyber- und Blackout-Klauseln haben sich somit in der Transportversicherung mittlerweile am Markt durchgesetzt.

Erfolgreiche Risikodialoge: PFAS-Ausschluss für VSMA-Kunden vorerst vom Tisch

Nachdem die VSMA die Forderung einiger Versicherer nach einem PFAS-Ausschluss heftig und medienwirksam kritisiert hatte, erklärten sich die Versicherer zu Risikodialogen mit den PFAS-Expertinnen von VDMA und VSMA bereit. Verschiedene Rück- und Erstversicherer setzten sich mit Claudia Sedlacek-Dechert, Leiterin der Sparte Haftpflicht bei der VSMA, und der PFAS-Expertin des VDMA, Dr. Sarah Brückner, an einen Tisch, um sich ein Bild vom konkreten Umgang mit PFAS-Stoffen in der Branche zu machen. In gemeinsamen Diskussionen konnte schließlich eine differenzierte Sichtweise gefunden werden. Das erfreuliche Ergebnis: Für die Kunden der VSMA ist das Thema PFAS-Ausschluss zumindest hierzulande vorerst vom Tisch.

Mehr dazu lesen Sie hier: www.vsma.de/pfas 

Industrieversicherer in der Pflicht
Der Markt für Industrieversicherungen ist seit Jahren verhärtet. Das Verhältnis zwischen Industrie und Industrieversicherern wird immer brüchiger. Eine ungesunde Entwicklung, die sich der Wirtschaftsstandort Deutschland nicht leisten kann. Instabile geopolitische Ordnungen, rasante Technologiesprünge, organisierte Cyberangriffe und klimabedingte Gefahren führen zu neuen, hochkomplexen Risiken. In der Industrieversicherung sind daher mehr denn je Akteure gefragt, die auf die veränderte Realität mit innovativen Lösungen reagieren, statt jedes neue Risiko auszuschließen oder unbezahlbar zu machen.

Die Bewältigung der globalen Herausforderungen erfordert Absicherungskonzepte, die auch in Krisenzeiten verlässlichen Schutz bieten. Strategien, die sich in erster Linie an den veränderten Bedürfnissen der Kunden und nicht an der Rendite orientieren. Nur wenn die Versicherungswirtschaft den Kunden (wieder) in den Mittelpunkt stellt, finden Industrie und Versicherungswirtschaft zu der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zurück, die notwendig ist, damit Maschinen und Anlagen „Made in Germany“ wettbewerbsfähig bleiben.

Die VSMA wird daher weiterhin die Interessen der VDMA-Mitgliedsunternehmen und der Maschinen- und Anlagenbauer gegenüber der Versicherungswirtschaft engagiert vertreten, sei es in neuen Risikodialogen zu PFAS oder zu anderen wichtigen Themen.

 
Beitragsbild: Gorodenkoff / Shutterstock

Kontakt:
Herr Birger Jeurink
VSMA GmbH – ein Unternehmen des VDMA
Telefon +49 69 6603-1521
bjeurink@vsma.org

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