Im Schadenfall kommt es vor allem auch auf die Höhe der vereinbarten Versicherungssumme an. Ist diese zu niedrig angesetzt, liegt eine Unterversicherung vor und der Schaden wird nur anteilig ersetzt. Zur Vermeidung einer Unterversicherung gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Klauseln. Der klassische „Unterversicherungsverzicht“ greift jedoch, anders als der Name vermuten lässt, nicht in jedem Fall. Versicherungsnehmer sollten daher bei der Gestaltung ihrer Versicherungsverträge fachkundigen Rat einholen.
In der Sach- und Schadenversicherung gilt der Grundsatz, dass die Versicherungssumme dem Versicherungswert entsprechen soll. Das heißt, der Versicherungsnehmer muss bei Vertragsabschluss eine zutreffende Versicherungssumme festlegen und während der Vertragslaufzeit regelmäßig überprüfen, ob Versicherungswert und Versicherungssumme noch übereinstimmen.
Probleme bei der Festlegung der Versicherungssumme
Gerade in der Gebäudeversicherung ist es seit jeher problematisch, bei Vertragsschluss die richtige Versicherungssumme festzulegen. Dies liegt daran, dass sich die Versicherer bei der Ermittlung der Versicherungssumme und der Prämienhöhe häufig am sogenannten Gebäudeversicherungswert 1914 orientieren. Dabei handelt es sich um eine fiktive Rechengröße, die den Neubauwert des Gebäudes im Jahr 1914 angibt. Mithilfe des jährlich vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Baupreisindex lässt sich der Wert 1914 umrechnen, sodass der Versicherer den Neubauwert für ein beliebiges Jahr ermitteln kann. Der so ermittelte Gebäudewert wird dann als Versicherungssumme vereinbart.
Wurde jedoch zwischenzeitlich zum Beispiel das Dachgeschoss aus- oder ein Gebäudeteil angebaut, erhöht sich der Versicherungswert und eine Anpassung der Versicherungssumme wird erforderlich. Seit einigen Jahren wird der Neuwert zudem sehr stark von externen Preisfaktoren beeinflusst. Gestiegene Baupreise, Materialverknappung und Inflation verursachen ebenso zu berücksichtigende Aufschläge auf den Versicherungswert wie erhöhte Architektengebühren beziehungsweise Konstruktions- und Planungskosten. In der Praxis entspricht die Versicherungssumme daher oft nicht dem Versicherungswert.
Folgen einer Unterversicherung
Stimmen Versicherungssumme und Versicherungswert nicht überein, liegt entweder eine Über- oder eine Unterversicherung vor. Ist die Versicherungssumme erheblich niedriger als der Versicherungswert, spricht man laut § 75 VVG von einer Unterversicherung. Die Versicherung ist dann berechtigt, Schäden nur anteilig zu ersetzen. Im Schadenfall wird die Entschädigung nach folgender Formel berechnet:
Neben der Entschädigung werden auch Nebenleistungen des Versicherers wie Rettungs- und Schadenermittlungskosten gekürzt (siehe § 83 Abs. 2 und § 85 Abs. 3 VVG). Liegt hingegen ein Totalschaden vor, erfolgt keine Kürzung der Leistungspflicht. Vielmehr ist dann die – der Höhe nach unzureichende – Versicherungssumme auszuzahlen.
Vermeidung einer Unterversicherung
Angesichts der gravierenden Folgen einer Unterversicherung, gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Klauseln, um diese zu vermeiden. Beispielhaft genannt seien hier Summenanpassungs-, Wertzuschlags-, Stichtags- oder Summenausgleichsklauseln.
Bei einer Versicherung auf Erstes Risiko kommt eine Unterversicherung von vornherein nicht in Betracht (vgl. beispielsweise § 8 Nr. 6 AFB 2008 sowie § 8 Nr. 5 AFB 2010). § 75 VVG ist in diesem Fall abbedungen. Bei einem Teilschaden wird keine anteilige Kürzung vorgenommen, sondern der Teilschaden wird wie ein Totalschaden bis zur Höhe der Versicherungssumme ersetzt; es kommt nicht darauf an, ob die Versicherungssumme dem Versicherungswert entspricht. Die Erstrisikoversicherung ist sinnvoll, wenn die Bestimmung eines genauen Versicherungswerts schwierig ist. Neben Aufräum- und Sachverständigenkosten sind häufig auch Abbruch- und Feuerlöschkosten sowie Bewegungs- und Schutzkosten Gegenstand einer Versicherung auf Erstes Risiko. Dort dient die Erstrisikoversicherung vor allem der erleichterten Schadenregulierung.
Auch durch die Vereinbarung einer gleitenden Neuwertversicherung kann sich der Versicherungsnehmer vor Wertsteigerungen während der Laufzeit des Versicherungsvertrages und damit vor einer Unterversicherung schützen. Basis ist zwar wieder der Gebäudeversicherungswert 1914. Bei der Vereinbarung einer gleitenden Neuwertversicherung passen sich Versicherungssumme und Versicherungswert jedoch gleitend der Entwicklung der ortsüblichen Baupreise an.
Vorsicht beim klassischen Unterversicherungsverzicht
Der Versicherer kann in seinen Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) ganz oder teilweise auf die Anwendung des § 75 VVG verzichten. Der Unterversicherungsverzicht soll dem Versicherungsnehmer damit das Risiko einer falschen Mitteilung der Versicherungswerte nehmen und bedeutet, dass der Versicherer im Schadenfall die entstandenen Kosten bis zur Höhe der Versicherungssumme ohne Abzug übernimmt.
Ist in einem Tarif ein Unterversicherungsverzicht enthalten, verzichtet der Versicherer im Schadensfall auf die Prüfung einer möglichen Unterversicherung. Dementsprechend findet sich in den AVB ein plakativer Abschnitt mit der Überschrift „Unterversicherungsverzicht“. Aber kann der durchschnittliche Versicherungsnehmer aus dieser Überschrift auch schließen, dass er diesbezüglich wirklich auf der sicheren Seite ist?
Schaut man sich die jeweiligen Klauseln im Detail an, wird schnell deutlich, dass der Unterversicherungsverzicht oft nicht in allen Fällen greift. Intendiert der Versicherer lediglich einen teilweisen Verzicht, so tut er gut daran, dies ausreichend deutlich zu formulieren (vergleiche HK-VVG/Marko Brambach VVG § 75, Rn. 20). Zudem gibt es auf dem deutschen Versicherungsmarkt eine Vielzahl von Varianten der klassischen Unterverzichtsklausel. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte daher zur Bewertung einen Experten hinzuziehen.
In den beiden folgenden Fällen gilt der Unterversicherungsverzicht in der Regel nicht:
- Hat der Versicherungsnehmer einer Wohngebäudeversicherung die Antragsfragen zum Gebäude nicht zutreffend beantwortet und wurde dadurch die Versicherungssumme „Gebäudeversicherungswert 1914“ von Anfang an zu niedrig bemessen, kann der Versicherer weiterhin einen Abzug von der Entschädigung wegen Unterversicherung vornehmen.
- Gleiches gilt, wenn bauliche Maßnahmen nach Vertragsabschluss den Gebäudewert erhöht haben und der Versicherungsnehmer dies dem Versicherer nicht unverzüglich angezeigt hat, so dass der Versicherer den Versicherungswert nicht entsprechend anpassen konnte. Nur wenn solche wertsteigernden Maßnahmen während der laufenden Versicherungsperiode, in der der Versicherungsfall eingetreten ist, durchgeführt wurden, erfolgt kein Abzug; insoweit bleibt der Unterversicherungsverzicht bestehen.
Fazit
Wie man sieht, ist der Versicherungsnehmer bei einem Unterversicherungsverzicht nicht in allen Fällen auf der sicheren Seite. Bei dieser komplexen versicherungsrechtlichen Spezialmaterie ist daher die Unterstützung durch Dritte dringend zu empfehlen. Versicherungsmakler können sowohl bei der Berechnung der Versicherungssumme als auch bei der Wahl der richtigen Vertragsgestaltung entscheidende Hilfe leisten. Denn auch wenn „Unterversicherungsverzicht“ auf dem Policendeckblatt steht, heißt das noch lange nicht, dass ein wirksamer Unterversicherungsverzicht für alle Fälle enthalten ist.
Tipp
Um eine Unterversicherung zu vermeiden, bietet die VSMA GmbH ihren Kunden eine individuelle Überprüfung der Versicherungswerte als zusätzliche Dienstleistung kostenfrei an. Weitere Infos finden Sie unter: https://www.vsma.de/kundenservice/vsma-versicherungssummenpruefung/
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Autor:
Rechtsanwalt Dr. Stefan Steinkühler
Rechtsanwalt Dr. Stefan Steinkühler steht der VSMA GmbH seit Mitte des Jahres 2020 als juristischer Berater bei haftungs- und versicherungsrechtlichen Themen zur Seite. Er verfügt über langjährige Erfahrungen in der Versicherungswirtschaft. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen neben der Bearbeitung von Sach-/BU- und Produkthaftungsschäden vor allem Fälle im Bereich der D&O- und VSV-Versicherung sowie der dazugehörigen Managerhaftung.